Gossner Mission in der DDR, Wohnwagen-Mission im Oderbruch

Mit dem Wohnwagen zu den Verzweifelten

Der Zweite Weltkrieg hinterließ tiefe Wunden. In Deutschland waren vor allem die Regionen im Osten betroffen. Die Menschen waren traumatisiert und damit beschäftigt, ihr Überleben zu organisieren. Seelsorge war nun wichtig – aber kirchliche Präsenz kaum mehr vorhanden. Die Gossner Mission handelte: Sie erwarb einen Wohnwagen und zog damit ins Oderbruch-Gebiet.

Der Wohnwagen sollte, so hatte es das Kuratorium der Gossner Mission auf Antrag ihres Mitarbeiters Horst Symanowski beschlossen, zur „Evangeliumsverkündigung in den Gebieten östlich von Berlin“ eingesetzt werden. Mit diesem Wohnwagen, der später durch weitere ergänzt wurde, zogen Beauftragte der Gossner Mission ins Oderbruch-Gebiet. Der Wagen trat an die Stelle von Kirche, Pfarrhaus und Versammlungsraum. Mit der Wohnwagenarbeit – später wurden weitere Wagen erworben – begann der Versuch, mit offenen, alternativen Gemeindeformen einen Weg zu finden, in der 1949 gegründeten DDR Christentum im Sozialismus zu leben.

Die Gossner Mission in der DDR begründete ihren „Dienst in der Welt“ als bewusstes Sich-Einlassen auf den Kontext ihrer sozialistischen Gesellschaft. Das Zusammenleben der Menschen als verantwortliche Gemeinschaft zu entwickeln, wurde zum bestimmenden Anliegen bei der Mitarbeit von Gossner-Vertreter:innen in Betrieben, in der Neustadtarbeit sowie bei der Mitarbeit in gesellschaftlichen Organisationen oder in kommunalen Basisgruppen.

Die Wohnwagenarbeit im Oderbruch markierte somit den Anfang einer Suchbewegung. Kirche begab sich auf die Suche nach den Menschen in einer Zeit der Umbrüche. Später wurde der Einsatz auf drei Orte in der Niederlausitz ausgeweitet: In den Jahren 1955 bis 1959 ging es auch nach Jamlitz, Weichensdorf und Goyatz. Schüler:innen der Diakonenausbildung in Berlin-Weißensee und Student:innen, vorwiegend der Theologie, aber auch anderer Fakultäten in Berlin, Leipzig und Jena, wurden für diese Arbeit gewonnen. Die Mitarbeiter der Gossner Mission, Bruno Schottstädt und Martin Iwohn, die diese Arbeit organisierten, hatten über die Studentengemeinde die Wohnwagenarbeit bekannt gemacht. 1956 und 1957 waren jeweils mehr als 30 junge Menschen für drei bis acht Wochen im Einsatz.
Die jungen Leute machten sich als Erntehelfer, bei anderen Arbeiten auf den Bauernhöfen und bei Hilfen für alleinstehende alte Leute nützlich. Somit wurde der Schritt aus dem kirchlichen Raum in den Alltag der Menschen vollzogen, mit ihren Anstrengungen, Verhaltensmustern und Sorgen. Kirche wurde nicht mehr nur als Veranstaltungskirche, sondern als Kirche bei den Menschen in ihrem täglichen Leben erlebt.

Im November 1958 ging eine Gruppe von Theologen – alle hatten Erfahrungen in der Wohnwagenarbeit gemacht – auf Arbeitssuche nach Lübbenau und Schwarze Pumpe. Auf den gigantischen Baustellen dort fanden sie problemlos Arbeit beim Transport, beim Betonbau, im Tiefbau, als Eisenbieger oder Heizer. Für alle war es eine neue Welt, in der sie sich erst zurecht ?nden mussten: schwere körperliche Arbeit, die Enge in den Barackenunterkünften, Sechs-Bett -Räume, Schichtdienst. Und: Die Theologen wollten nicht nur kurz „hinein schnuppern“; nein, sie wollten auf unbestimmte Zeit bleiben und eine dauerhaft e missionarische Existenz in der Welt der Arbeiter beginnen. Ihr Ziel: eine neue Perspektive des Lebens, der Welt und des Evangeliums gewinnen.

Es kam jedoch anders: Von staatlicher Seite sah man die Grenzüberschreitung aus der Welt der Kirche in die Welt der Arbeiter nicht gern. Die Stasi befürchtete, die Gruppen könnten den Auftrag haben, antisozialistische Propaganda zu betreiben. So ?atterte den Theologen schon bald die Kündigung ins Haus.

Am 29. Dezember 1954 bereits hatte Bruno Schottstädt offiziell die „Gossner Mission in der DDR“ ins Leben gerufen. Schottstädt sah die missionarische Aufgabe der Kirche nicht nur in der Verkündigung des Evangeliums an die Fernen, sondern in der Praxis des Glaubens in der Nähe, nun also in der sozialistischen Gesellschaft  der DDR.