Gossner Mission Geschichte, Horst Symanowski

Den Menschen am Fließband begegnen

Es war eine Idee Horst Symanowskis: Theolog:innen gehen auf Zeit in Industriebetriebe und teilen das Leben der Menschen dort. So entwickelte sich in den 1950er Jahren im Gossner-Haus in Mainz eine ganz besondere Gossner-Arbeit.

Als das Kuratorium der Gossner Mission Horst Symanowski von Berlin nach Mainz schickte, war Deutschland immer noch dabei, herauszufinden, wie seine Nachkriegsgeschichte verlaufen sollte. Es war das Jahr 1949. Von vielen Theologen, die damals das Erbe der Bekennenden Kirche wahren wollten, wurden politische und gesellschaftliche Entwicklungen skeptisch verfolgt. So viel zum Kontext.

Eigentlich wurde Horst Symanowski nach Mainz geschickt, um eine Niederlassung der Gossner Mission in Westdeutschland zu gründen. An der Universität in Mainz war ein Lehrstuhl für Missionswissenschaft errichtet worden, das mochte für die Wahl des Ortes den Ausschlag gegeben haben. Martin Niemöller war dort Kirchenpräsident; auch das war sicher nicht ohne Bedeutung. Die Gossner Mission, die ihr östliches Hinterland verloren hatte, wollte nun im Westen Fuß fassen. Und neue Unterstützer für die Indienarbeit gewinnen.

Aber alles kam anders. Mit einem Missionshaus hatte das Zentrum, das in Mainz-Kastel entstand, wenig Ähnlichkeit. Mitte der 1950er Jahre fand man dort ein Ensemble sehr unterschiedlicher Betriebsamkeiten vor. Das große Haus am Rhein war Wohnheim für Lehrlinge und junge Arbeiter:innen. Zudem trafen sich dort regelmäßig Arbeiter:innen und Angestellte aus nahegelegenen Industriebetrieben, meist mit ihren Ehepartner:innen. Mit denen war Horst Symanowski in Kontakt gekommen, als er selber Hilfsarbeiter im nahen Zementwerk war – gezwungenermaßen, denn von der Gossner Mission erhielt er kein Gehalt, musste aber schließlich seine Familie ernähren.

Die kirchenfremden Menschen ließen sich von dem Pfarrer bei der Arbeit offenbar in ein jahrelang währendes Dauergespräch über Gott und die Welt mitnehmen; vor allem über die Welt des industriellen Alltags. An manchen Sonntagen wuchs der Kreis der Gäste im Gossner-Haus daher beträchtlich an. Der „Gossner-Sonntag" gewann mit Bibel, Eintopfessen und aufregenden Gesprächen eine besondere Anziehungskraft.

Schließlich gab es im Haus noch Gruppen zumeist junger Theolog:innen, die zu einem Seminar oder zu einem kürzeren Praktikum kamen. Denn das Gossner-Haus in Mainz bot Halbjahresseminare für Pfarrer:innen in der Industriegesellschaft an. 1961 kamen Industriepraktika für Theologie-Studentinnen und Studenten hinzu. Neben diesen Seminaren und Praktika beteiligte sich die Gossner Mission in Mainz mit Beginn der 1980er Jahre aktiv in der damaligen Friedensbewegung (gegen den Nachrüstungsbeschluss) und in der Arbeit mit Migrant:innen und arbeitslosen Jugendlichen.

Im Gossner-Haus lebten bis zu 130 Menschen zusammen; Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder. Hunderte erinnern sich heute an die Jahre, die sie in Mainz-Kastel am Rhein zubrachten, als an einen wichtigen, bereichernden Abschnitt ihres Lebens.

Mit seiner Arbeit im Mainzer Gossnerhaus prägte Horst Symanowski Generationen junger Theolog:innen, und seine Pionierarbeit an der Schnittstelle zwischen Kirche und Arbeitswelt ist national und international vielfach aufgegriffen, anerkannt und gewürdigt worden.

Das Seminar für kirchlichen Dienst in der Industriegesellschaft wurde im Jahr 2001 in die Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau überführt.