Zwischen Gewalt und Ausbeutung - Frauen in Nepal
Zur Arbeit im Ausland gezwungen
Häusliche Gewalt, Zwangsheirat und Arbeitsausbeutung. Mitgiftmord und Vergewaltigung. Und gar Vorwürfe wegen Hexerei: Im Jahr 2018 wurden mehr als 1200 Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt in Nepal registriert. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.
„Die meisten Frauen in Nepal leben in ländlichen Gebieten – und sind stärker als andere von Belästigung und Missbrauch bedroht. Ihrer Rechte sind sie sich nicht bewusst“, betont Ashmita Sapkota, Mitarbeiterin bei Amnesty International.
Bis zur Corona-Pandemie verließen jedes Jahr weit mehr als 400.000 Menschen Nepal, um im Ausland zu arbeiten. Darunter waren geschätzt zehnmal so viele Frauen wie offiziell registriert, denn arbeitswillige Frauen nutzten oftmals irreguläre Wege. Einer der Gründe dafür war das Verbot der Arbeitsmigration ins Ausland für Frauen unter 24. In der Realität bedeutet dieses Verbot ein erhöhtes Risiko für die jungen Frauen, Opfer von Menschenhandel, sexualisierter Gewalt, Sklaverei und anderen Menschenrechtsverletzungen zu werden.
Immer wieder werden nepalische Frauen und Kinder Opfer von Menschenhandel. Sie werden nach Indien, in die Golfstaaten und in andere Länder verkauft – und zur Prostitution gezwungen, als Haushaltssklavinnen gehalten, von Ausbeutung oder Organhandel bedroht. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich wesentlich höher.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen gehört zum Alltag
Auch im Land selbst werden nepalische Frauen und Mädchen benachteiligt; sie erleiden häufig geschlechtsspezifische Gewalt. Dazu zählen etwa häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Früh- und Zwangsheirat. 2018 zählte eine unabhängige Datenbank mehr als 1200 solcher Fälle. Während auch hier die Dunkelziffer vermutlich noch wesentlich höher liegt, stellen Attacken gegen Frauen und Mädchen mit Abstand die häufigste Gewaltform im Land dar. Das Öffentlichmachen von sexualisierter Gewalt oder Belästigung ist immer noch mit einem großen Risiko für die Betroffenen verbunden. „Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, wird in Nepal noch immer den Opfern die Schuld gegeben“, kritisiert die Journalistin Punjita Pradhan.
Kastenzugehörigkeit, die ethnische Herkunft und der Wohnort spielen eine wichtige Rolle. Traditionelle Vorbehalte, Stigmatisierung, Armut, mangelnde Bildung, Furcht vor weiterer Gewalt und fehlender Schutz durch die Behörden lassen die Betroffenen häufig von einer Anzeige absehen. Hinzu kommt, dass die Verjährungsfrist für Vergewaltigungen sehr kurz ist und nicht internationalen Standards entspricht. Frauen können sich zudem nicht sicher sein, dass die Polizei bereit ist, ihre Anzeige aufzunehmen. Die Erfolgsaussichten für eine Verurteilung des Täters sind oft sehr gering. Häufig wird das Opfer – und nicht der Täter – für die Tat verantwortlich gemacht und stigmatisiert.
Die Gewalt betrifft vor allem Frauen und Mädchen aus marginalisierten Gruppen, die häufig mehrfach diskriminiert werden, wie z. B. Dalits, Indigene, sexuelle und religiöse Minderheiten, Frauen mit Behinderungen, Frauen, die in abgelegenen Gebieten leben, Witwen und alleinstehende Frauen.
Der Ernährungszustand von Frauen und Kindern gibt nach wie vor Anlass zur Besorgnis. Untergewicht und Anämie sind weit verbreitet. Ein Fünftel aller Kinder wird mit zu niedrigem Gewicht geboren. Frauen haben eingeschränkten Zugang zu und Kontrolle über Produktionsmittel und produktive Ressourcen wie Land, Wald und Wasser. Ihre Einkommensmöglichkeiten sind eingeschränkt bei in der Regel niedrigeren Löhnen im Vergleich zu Männern.
Vom Bürgerkrieg traumatisiert
Zuletzt ein Blick auf die Folgen des bewaffneten Konflikts in Nepal, der bis 2006 dauerte und zur Ablösung der Monarchie führte. Viele Frauen wurden damals vergewaltigt oder gefoltert oder waren auf andere Weise sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Den Überlebenden ist bisher im Gegensatz zu anderen Opfergruppen eine Kompensation verweigert worden. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission Nepals hat bisher insgesamt mehr als 60.000 Fälle aufgenommen, von denen sich aber nur wenige Hundert auf sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Mädchen beziehen. Dies liegt einerseits am unsensiblen und retraumatisierenden Umgang der Kommission mit Anzeigen sexualisierter Gewalt, andererseits daran, dass Opfer aus Angst vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung keine Anzeige wagen.
Die hier genannten Fakten hat das Nepal-Dialogforum für Frieden und Menschenrechte zusammengetragen. Das Forum arbeitet mit Partnerorganisationen und Menschenrechtsverteidiger:innen in Nepal zusammen und initiiert Advocacy-Aktivitäten. Es arbeiten acht deutsche Organisationen im Forum mit; zu diesen gehört auch die Gossner Mission.