Indien - Gossner Kirche, GELC

Gossner Kirche: 100 Jahre Seite an Seite

Missionare engagierten sich für Rechte der Adivasi

Die Evangelisch-Lutherische Gossner Kirche ist aus dem Wirken der Gossner-Missionare entstanden und heute mit rund 350.000 Mitgliedern die zweitgrößte lutherische Kirche Indiens. Ihre Mitglieder sind zu über 90 Prozent Adivasi.

Die Evangelisch-Lutherische Gossner Kirche (Gossner Evangelical Lutheran Church, GELC), ist mit rund 350.000 Mitgliedern die zweitgrößte lutherische Kirche Indiens. Ihre Mitglieder sind zu über 90 Prozent Adivasi.

1845 gelangten die ersten vier Missionare der Gossner Mission nach Chotanagpur, dem im heutigen Bundesstaat Jharkhand gelegenen Hochplateau. Geprägt vom Missionsverständnis Johannes Evangelista Goßners, zu dem sowohl Evangelisation als auch Überwindung der materiellen Not gehörten, vermuteten sie in der Heimatregion der Adivasi das richtige Missionsfeld. Ihre Missionsarbeit war von Anfang an nicht auf Verkündung und Unterweisung beschränkt, sondern beinhaltete auch soziales Engagement. Die Missionare, die zu Hause in Deutschland vielfach den Beruf eines Lehrers, Handwerkers oder Bauern erlernt hatten und die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten, engagierten sich in der Fremde – neben der Evangelisation – in Bildungs-, Gesundheits- und Dorfprojekten, lernten und erforschten die Sprache und Kultur der Adivasi und setzten sich für ihre Rechte und die Rettung ihrer Kultur ein.

Ziel: Bildung und Selbständigkeit für die Adivasi

Dies zog vielfach die Feindschaft der Feudalherren nach sich, andererseits fasste das Christentum unter den Adivasi schnell Fuß, so dass ab 1861 in Chotanagpur und ab 1865 auch in Assam aus der Mission eine eigene Kirche wuchs. Die Adivasi waren – nach anfänglichem Zögern – begeistert, ihre Dämonenängste und ihren Geisterglauben abzulegen. Zudem sprachen die Missionare von Freiheit und Selbstständigkeit. Dies bedeutete für die Adivasi auch das Freimachen von sozialer Ungerechtigkeit und wirtschaftlicher Ausbeutung. So unterstützten die Missionare die Landbevölkerung durch Bildungsarbeit und Rechtshilfe in ihrem Aufbegehren gegen Steuereintreiber, die die alte Ordnung des dörflichen Gemeinschaftseigentums zerstört hatten. Besonders in Rechtsstreitigkeiten vertraten die Missionare vor den indischen Gerichten die Positionen der Bauern und leisteten in persönlichen Notlagen auch selbstlose Hilfe.

Nachdem die Missionsarbeit immer größere Erfolge erzielen konnte, wurde schon zu Ende des 19. Jahrhunderts eine selbstständige Kirche angestrebt. Die Gewinnung und Ausbildung hauptamtlicher Katecheten und Pastoren unter den Adivasi wurde zur Hauptaufgabe der Missionare. Eine Zäsur stellte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und im Zusammenhang damit die Ausweisung der deutschen Missionare aus Indien dar. Unter dem Druck der Verhältnisse konstituierte sich 1919 die Gossner Kirche als erste protestantische indische Kirche. Diese junge indische Kirche war damit eine der ersten, die aus der protestantischen Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangen sind. Sie benannte sich nach dem bis heute verehrten Missionsgründer Johannes Evangelista Goßner.

Die Gossner Mission sandte noch bis 1969 Fachleute mit theologischen und entwicklungsbezogenen Berufen zur Gossner Kirche, und ist bis heute eng mit der Gossner Kirche verbunden. Heute finanziert sich die Gossner Kirche selbst; in den armen Regionen auf indische Weise: Die Frauen legen in der Woche vor jeder Mahlzeit ungekochten Reis beiseite, den sie sonntags zum Gottesdienst mitbringen. Eine starke Rückbindung an alte Traditionen vollzieht sich in den von Trommeln begleiteten Tänzen und den Liedern, die nun die christliche Botschaft verkünden.

Gossner Kirche unterhält 70 Schulen und Colleges

Schulbildung und solide Berufsausbildung sichern die Lebensgrundlage einer ganzen Familie und schaffen später weitere Arbeitsplätze. Deshalb ermöglichen die Schulen, Hochschulen und Berufsbildungszenten der Gossner Kirche den Kindern und Jugendlichen der sozial benachteiligten Adivasi-Familien den Aufbau einer eigenen Existenz. Natürlich stehen die Schulen auch Mädchen und Jungen anderer Religionen offen.

Heute unterhält die Gossner Kirche 41 Grundschulen und 27 weiterführende Schulen, vier Colleges und drei Berufstrainingszentren. Weitere Schulen, die so genannten „Bridge Schools“ sind in Planung. Sie sollen Kindern in weit abgelegenen Regionen den Schulbesuch ermöglichen und langfristig eine Brücke zu weiterführenden staatlichen Schulen schlagen.

Dschungelkrankenhaus Amgaon bis heute unvergessen

Seit Jahrzehnten unterstützt die Gossner Mission die medizinische Arbeit der Gossner Kirche. Jahrzehntelang stand dabei der Betrieb des „Dschungelkrankenhauses“ Amgaon im Mittelpunkt, das in einer abgelegenen Region im Bundesstaat Orissa (heute: Odisha) den Adivasi eine medizinische Grundversorgung garantierte. Das Krankenhaus ist eng verbunden mit dem Namen Ilse Martin. Sie war die erste Krankenschwester der Gossner Mission, die 1954 in dem neu eröffneten Hospital arbeitete und enorme Mühen auf sich nahm, um den Menschen in der Region Hilfe zu bringen.

Im Dschungel auf Gottes Hilfe vertraut: Mehr zum Lebenswerk von Schwester Ilse Martin in: Gossner-Info 2/2004 (PDF) >>

Heute stehen die Unterstützung von Gesundheits-Camps in abgelegenen Regionen im Zentrum der Gesundheitsarbeit. Oft organisiert werden diese von einer Gruppe lutherischer Ärzte um Dr. Marschall Lugun organisiert. Die Gossner Kirche plant, in den nächsten Jahren „Barfuß-Ärztinnen" und "Barfuß-Ärzte“ in den Dörfern um Govindpur auszubilden. In der entlegenen Region Karbi Anglong entsteht neben der von der Gossner Mission errichteten Margareth-Gesundheitsstation im Norden eine zweite Gesundheitsstation im Südosten des unwegsamen Berglandes. Diese ist nach der Ärztin Dr. Sonja Böttcher aus Hinte (Ostfriesland) benannt. Diese hatte sich sehr für die Gesundheit der Menschen in Assam engagiert.

Mission und Theologische Ausbildung

In einzigartiger Weise verbindet die Gossner Kirche christliche Mission mit regionaler Entwicklung. In ihrem „Human Resource Development Center“ (HRDC; auf Deutsch etwa „Zentrum zur Personalentwicklung“), werden Pastorinnen und Pastoren sowie Katechetinnen und Katecheten fortgebildet. In einem Fünf-Punkte-Programm stehen bei ihrer Ausbildung neben der Evangelisation auch Unterricht für alle Altersstufen, Gesundheitserziehung, einkommensschaffende Projekte und finanzielle Beratung auf dem „Stundenplan“.

Die Missionsabteilung der Gossner Kirche besteht seit 1969. Die Absolventinnen und Absolventen des HRDC arbeiten in Missionsfeldern, die zumeist in den Randzonen der Kirche liegen. Die Missionsarbeit will dazu beitragen, die Menschen im alltäglichen Überlebenskampf zu unterstützen. Sie hilft den Menschen, in der Gemeinschaft die eigenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensgrundlagen zu entdecken.

So bieten die „Pracharaks“ und Pracharikas“ (Dorfdiakone und -diakoninnen) zum Beispiel Abendkurse für Frauen an. Diese lernen dabei lesen und schreiben, aber erfahren auch Neues über landwirtschaftliche Anbaumethoden, über ausgewogene Ernährung oder über das Kleinkreditwesen.

Die Gossner Kirche - unterstützt durch die Gossner Mission – unterhält in Ranchi das vom Senat von Serampore anerkannte Gossner Theologische College, an dem Pfarrerinnen und Pfarrer ausgebildet werden. Die Diakoninnen und Diakone der Kirche werden in Govindpur ausgebildet – sowohl in Theologie als auch in Landwirtschaft.

Ökumenische Beziehungen

Die Gossner-Kirche ist Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen und des Lutherischen Weltbundes und nimmt darüber an der ökumenischen Bewegung teil. Lokal und regional ist sie in Kirchenräten mit anderen christlichen Gemeinschaften verbunden. Eine Kirchenpartnerschaft unterhält sie über die Gossner Mission zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch mit der Lippischen Landeskirche ist sie eng verbunden. Durch Gemeindedienste, Informationen und Besucheraustausch pflegt die Gossner Mission die Verbindungen zu Gemeinden und Freundeskreisen.

Die Gossner Kirche ist seit mehr als 100 Jahren selbständig.
Mehr zur Geschichte in: Gossner. 3/2019 (PDF) >>

Die Gossner Kirche feiert Jubiläum: Harald Lehmann, früherer Gossner-Vorsitzender, ist 2019 vor Ort
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Frauen in Indien
„Lebenswege“ – eine Fotostrecke in: Gossner. 1/2020 (PDF) >>