Flucht und Vertreibung damals und heute

Kuratorium Gossner Mission Flucht Vertreibung Herbstsitzung 2022 Dokumentationsstätte Knadenkirche Tidofeld
Roiyan Bolbondia und Michael Heß. © Jutta Klimmt

Gnadenkirche Tidofeld: Persönliche Schicksale werden wach

Im Fokus der Herbstsitzung 2022 des Gossner-Kuratoriums in Ostfriesland stand das Thema „Flucht, Vertreibung, Migration, Integration“. Der Blick richtete sich auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, aber auch nach Sambia, Uganda und Indien.

Auf Einladung der Landeskirche Hannovers kam das Kuratorium der Gossner Mission in der Johannes a Lasco-Bibliothek in Emden zusammen. Von dort aus brach es zu einem Besuch in der Dokumentationsstätte „Gnadenkirche Tidofeld“ in Norden auf. Lennart Bohne, pädagogischer Leiter, und Gossner-Vorsitzender Dr. Helmut Kirschstand, als Superintendent des Kirchenkreises Norden zugleich Vorsitzender des Trägervereins, begrüßten das Kuratorium gemeinsam in der Dokumentationsstätte.

Bohne blickte zurück auf die Geschichte des ursprünglichen Aufnahmelagers für Geflüchtete im Norder Ortsteil Tideofeld. Es entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in den ehemaligen Baracken eines Marinelagers; zeitweise waren hier Hunderte Menschen untergebracht. Aus deren „Barackenkirche“ von 1948 entwickelte sich später die „Gnadenkirche Tidofeld“, die aber 2006 entweiht wurde und in der 2013 die Dokumentationsstätte eröffnet wurde.

"Heute wieder Krieg und Flucht in Europa"

Die Dauerausstellung thematisiert heute aus persönlicher und regionaler Perspektive Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa und den ehemaligen deutschen Ostgebieten sowie deren Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft. Dargestellt wird, welch große Rolle solche Faktoren wie Arbeit, Glaube und Zusammenhalt bei der Integration spielten. In Exponaten und Zeitzeugen-Interviews wird die Geschichte des/der Einzelnen vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse deutlich; der Schmerz über den Verlust der alten Heimat wird ebenso erkennbar wie neue Möglichkeiten in der neuen Heimat. Bohne schlägt eine Brücke ins Hier und Jetzt. „Die Lebensgeschichten der Nachkriegszeit laden dazu ein, sie anzuhören und sich darüber auszutauschen – und die Gegenwart miteinzubeziehen, in der es in Europa nun wieder Krieg und Flucht gibt.“

Menschen in Sambia leiden unter"Landgrabbing"

Im Anschluss widmete sich das Kuratorium den Fragen von Flucht, Vertreibung, Migration und Integration in den Gossner-Arbeitsgebieten. Für den Bau des Kariba-Staudamms im Süden Sambias, so führte Kuratorin Heidrun Fritzen aus, wurden in den 1950er Jahren rund 55.000 Menschen zwangsevakuiert: vertrieben aus ihrer fruchtbaren Uferregion in eine „staubige und trockene Gegend“, wo sie mit den Bedingungen nicht zurechtkamen. Danach – und bis heute – gab es weitere Vertreibungen; so müssen die Menschen vom Volk der Tonga immer wieder dem Bau von Kohlebergwerken weichen.  

Adivasi in Assam bis heute diskriminiert

Kurator Michael Heß und Roiyan Bolbondia, Süd-Nord-Freiwilliger aus Assam, erinnerten an den großen Trek der Adivasi-Arbeitskräfte, die Ende des 19. Jahrhunderts in Chotanagpur angeheuert wurden, um auf Tee-Plantagen in Assam zu arbeiten. Aus dem Hochland ging es „in die Brahmaputra-Sumpfmündung, die im Sommer kocht“, so Heß. „Die Adivasi starben zu Tausenden.“ Die Treks wurden begleitet von Gossner-Missionaren, die den Adivasi unterwegs und in der Zielregion beistanden. 1902 entstand die erste Gossner-Kirchengemeinde in Assam.

Heute leben rund sieben Millionen Adivasi in Assam, davon 4,7 Millionen in großer Armut auf den Tee-Plantagen; unter schwierigen Bedingungen, der Willkür der Plantagenbesitzer ausgeliefert, für umgerechnet 2,50 Euro Tageslohn. Es mangelt an Schulen und an Perspektiven. Die Adivasi sind in Assam nicht als „scheduled tribes“ anerkannt, müssen sich vielmehr den (von ihnen so empfundenen) Schimpfnamen „tea tribes“ gefallen lassen. Vor diesem Hintergrund finden auch heute wieder Migrationsbewegungen statt: in andere Regionen Indiens oder ins Ausland.

Aus Kitgum in Uganda berichtete James Oballim von der Church of Uganda per Video von der heutigen Willkommenskultur in seiner Heimat. Uganda hat in den vergangenen Jahren rund 1,5 Mio. Geflüchtete aus dem Südsudan aufgenommen – und kämpft nun mit zahlreichen Herausforderungen, die damit einhergehen; Landfragen, Kriminalitätsrate, Bildungs- und Arbeitsplatzfragen. Zugleich betont Oballim, dass die Regierung – auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen im eigenen Land in der Zeit des Bürgerkriegs bis 2006 – nicht gezögert habe, diese große Zahl von Geflüchteten aus dem Nachbarland aufzunehmen.