Petersburg: Zwischen Himmel und Hölle

Sankt Petersburg. Gossner
Sankt Petersburg. @ Radik Sitdikov, Unsplash

#250Jahre: Vom Zaren berufen

Es beginnt mit einer „Höllenfahrt“. Und endet mit einer Ausweisung bei Nacht und Nebel. Und trotzdem wird Johannes Evangelista Goßner seine Jahre in Sankt Petersburg später als die erfüllteste Zeit seines Lebens beschreiben. Teil 2 unserer Reihe „#250Jahre Goßner“.

Am 14. Dezember 2023 jährt sich der Geburtstag Johannes Evangelista Goßners zum 250. Mal. Anlass für die Gossner Mission, verstärkt dem Wirken ihres Gründers nachzuspüren. Dieses Mal geht der Blick zu den Jahren in Russland.

Im Jahre 1820 erreicht Johannes Evangelista Goßner eine Berufung nach Sankt Petersburg. Zar Alexander I. strebt eine geistliche Erneuerung an und erhofft diese auch für die Russische Orthodoxe Kirche in seinem Land. Goßner könne bei dieser Aufgabe hilfreich sein, wird dem Zaren von russischen pietistischen Kreisen nahegelegt.

Eine Höllenfahrt durchs wilde Meer

Also auf nach Sankt Petersburg! Nach den Verleumdungen und Nachstellungen, denen er in Düsseldorf ausgesetzt war, tritt Johannes Evangelista Goßner den Weg dorthin gerne an. Begleitet wird er von seiner Lebensgefährtin Ida Maria Bauberger. Von Königsberg aus reisen die beiden mit einer russischen Postkutsche weiter, acht Tage lang sind sie unterwegs, mit halbwilden Pferden und einem Postillion, mit dem sie sich nicht verständigen können. Und: immer am Meer entlang, so nah, dass die Wellen brausend gegen die Kutsche schlagen und die Räder durch Wasser und weichen Sand wühlen. Die beiden Insassen, die – aus Bayern stammend – das Meer nicht kennen, werden heftig durchgerüttelt. Und sind verängstigt. Und als dann noch die Pferde durchgehen, ist für Ida Maria Bauberger klar: „Eine wahre Höllenfahrt ist das!“

In Sankt Petersburg muss Goßner sich zunächst eingewöhnen. Doch der erhoffte Erfolg für den neuen Priester an der römisch-katholischen Malteserkirche stellt sich rasch ein. Die Menschen sind begeistert von seinen lebendigen und aufrüttelnden Predigten. Er findet eine große Anhängerschar: Menschen aller Stände, Konfessionen, Religionen und Nationen finden sich zu Gottesdienst und Bibelstunde ein.

Goßners Gottesdienste sind überfüllt

Goßners Abendandachten sind so stark besucht, dass die Räumlichkeiten in seiner Wohnung bald nicht mehr ausreichen. Am Ende des zweiten Jahres wohnt der vielgesuchte Prediger daher nach einem Umzug in einer der glänzendsten Straßen der Stadt, der „Großen Morskaja“ im Mittelpunkt von Sankt Petersburg. Mehrere Freunde Goßners, die er in allen Ständen besitzt, kommen für die Miete von 6000 Rubeln auf. Hier nun, im umgebauten früheren Ballsaal, ist Platz für mehr als tausend Menschen.

Auch die Gottesdienste sind überfüllt. Schon früh steht sonntags ein ganzer Wagenpark vor der Malteserkirche. Die Verbindung von Verkündigung, Seelsorge und Sozialarbeit überzeugt Menschen aus dem einfachen Volk ebenso wie Diplomaten, Kaufleute und Adelige.

Doch: Als katholischer Priester zelebriert Goßner die Messe mit Brot und Wein. Er gibt seinen Segen zur Trauung eines Priesters, der evangelisch wird. Er gibt Empfehlungen für eine Kirchenunion unter den Christen aller Konfessionen in Sibirien. Sein Einfluss reicht bis ins benachbarte Finnland.

"Hier stehe ich. Ich kann nicht anders."

Die Tätigkeit Johannes E. Goßners erregt Aufsehen; sogar im großen Werk „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi findet es später Erwähnung. Doch mit seinem Wirken und Worten eckt Goßner bei vielen an. Die orthodoxen Priester neiden ihm den Erfolg und machen Stimmung gegen ihn.

Letztlich ist es aber ein anderer, der seinen Sturz herbeiführt: Fürst Metternich, der von Wien aus gegen Goßner intrigiert. So ist er von dunklen Ahnungen erfüllt, als er – noch ohne es zu wissen – seine letzte Predigt in der Malteserkirche hält. Er beschließt diese mit den Worten Martin Luthers: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“

Eine Woche später ist die Kirche aufgrund einer polizeilichen Verfügung geschlossen; ein Gericht hat die Verbrennung seiner Bücher angeordnet. Und Johannes E. Goßner bleiben nur drei Tage Frist, das Land zu verlassen. Mit einer Kosaken-Eskorte wird er zur Grenze geleitet.

Die Entfernung von der Malteserkirche bedeutet auch, dass Goßner künftig alle katholischen Pfarrstellen verwehrt sein werden. Die strenge römische Richtung hat auch hier gesiegt – mit Hilfe von orthodoxen Würdenträgern in Russland.

Goßners Vermächtnis an die Petersburger Gemeinde ist das Lied „Segne und behüte", das auch heute noch in vielen evangelischen Gesangbüchern steht, sowie das Andachtsbuch „Schatzkästchen". Bis zu seinem Lebensende wird Goßner mit der Gemeinde in St. Petersburg in persönlicher Verbindung stehen. Und ebenso lange unter dem Verlust und der Ausweisung leiden.

Mehr zum Leben und Wirken Johannes E. Goßners >>

Unterwegs auf den Spuren des Missionsgründers (Video, 8:39 min.) >>