„Empowerment“ war wichtiger Aspekt der Missionsarbeit
Rund 90 Prozent der Mitglieder der indischen Gossner Kirche gehören der indigenen Bevölkerung an. Was bedeutet Mission für sie? Wir sprachen mit Marshel Kerketta, der im August zum leitenden Bischof gewählt wurde.
Bischof Kerketta, rund 90 Prozent Ihrer Kirchenmitglieder sind Adivasi, d.h. sie gehören der indigenen Bevölkerung an. Was bedeutet Mission für Sie?
Marshel Kerketta: Für uns als Adivasi bedeutet Mission, gerettet zu werden – im physischen Sinne und nicht nur in der spirituellen Dimension. Wir hätten heute keinen Zugang zu Land, zu Wald und Wasser, die für unsere Lebensweise und Kultur von zentraler Bedeutung sind, wenn die Gossner-Missionare damals nicht gewesen wären. Sie sorgten dafür, dass die Landrechte der Adivasi im Gesetz verankert wurden – in indischen Gesetzen, die bis heute gültig sind. Wie hätten sonst die Lebensweise und das friedliche Zusammenleben der Adivasi-Völker überleben können? Die Missionare zeigten uns mit ihrem Kampf für die Landrechte (hier ist der „Chotanagpur-Tenancy-Act“ zu nennen), was getan werden kann und wie man etwas erreichen kann.
Können Sie das näher erläutern?
Marshel Kerketta: Als die Missionare aus Deutschland nach Indien kamen, stellten sie fest, dass viele Adivasi damals ihr angestammtes Land verlassen mussten, um als Tagelöhner in den Großstädten ihr Geld zu verdienen. Als sie in unsere Region nach Chotanagpur kamen, halfen sie den Menschen, sich wieder mit ihrem Land zu verbinden. Die Adivasi erkannten, dass sie selbst etwas tun konnten, um ihr Land vor den Großgrundbesitzern zu schützen, von denen sie ausgebeutet wurden. Heute sind wir wieder mit der Situation konfrontiert, dass uns unser Land weggenommen wird. Die indische Regierung will die Wirtschaft fördern; sie lässt zu, dass sich Unternehmen bei uns ansiedeln, die die natürlichen Ressourcen ausbeuten, um damit hohe Gewinne zu erzielen. Die Regierung will das Land der Adivasi den Geschäftsleuten überlassen.
Was kann die Kirche dagegen tun?
Marshel Kerketta: Ein wichtiger Schritt ist jetzt und war es auch in der Vergangenheit, die Menschen zu befähigen. Stichwort „Empowerment“. Das bedeutet, die Menschen aufzuklären und sie über ihre Rechte zu informieren. Das ist etwas, was wir von der Mission und von den Missionaren gelernt haben. Bildung ist wichtig! Deshalb unterhält unsere Kirche bis heute Schulen und Colleges, um den Adivasi-Studierenden, aber auch anderen, die Möglichkeit zu geben, zu lernen und zu verstehen. Heute sind viele Adivasi besser ausgebildet als die Kinder der früheren Großgrundbesitzer. Bildung hat ihr Leben aufgewertet und die Abhängigkeit von den Grundbesitzern durchbrochen. Außerdem waren die Adivasi-Christen in der Lage, ihre eigenen starken Institutionen aufzubauen, wie etwa die Kirche selbst. Das ist auch mit ein Grund, warum die indische Regierung heute so stark auf die Arbeit der christlichen Kirchen reagiert. Sie fürchtet deren Einfluss auf die Benachteiligten und Ausgegrenzten. Das ist der Grund, warum die Regierung den Christen vorwirft, andere für Geld zu bekehren.
Die Missionare brachten Traditionen aus ihrer deutschen Heimat mit. Sie übten somit auch kulturellen Einfluss aus. Wie gehen die Adivasi damit heute um?
Marshel Kerketta: Die deutschen Missionare kamen zu einer Zeit, als die Kultur und Lebensweise der Adivasi gefährdet waren. Sie waren bereits stark von außen beeinflusst, von Hindus, den Briten und anderen. Viele junge Adivasi mussten ihre traditionelle Lebensweise in den Wäldern und auf dem Land aufgeben und in die Städte gehen, um dort Arbeit zu finden. Es waren also nicht die deutschen Missionare, die die Kultur der Adivasi störten, sondern diese brachten vielmehr den christlichen Glauben als einen weiteren Einfluss, aber einen positiven, der die Gemeinschaften stärkte. Einige Adivasi gingen später zur Ausbildung nach Deutschland. Dort lernten sie deutsche Kirchenlieder kennen. Sie mochten sie, übersetzten sie und brachten sie mit nach Indien. Der deutsche Einfluss in unserer Kirche ist natürlich vorhanden und spürbar, und wir behalten ihn bei, weil er uns lieb und teuer ist und wir ihn nicht ändern wollen.